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In Lieblingsfarben wohnen


Inka Aniol ist Wohnpsychologin. Sie weiß, wie wichtig Farben für unser Wohlbefinden sein können. Und gibt uns ein paar Tipps, wie wir die richtigen Farbtöne für uns und unser Zuhause finden.

Inka Aniol ist eine erfahrene Wohnpsychologin. Bei ihr melden sich Menschen, die in ihrer Wohnung etwas verändern möchten, aber noch nicht so richtig wissen, was und wie. Gemeinsam wird dann geschaut: Wie kann die Wohnung als ganz persönliche Wohlfühloase gestaltet werden? Und was entspricht überhaupt den eigenen, individuellen Bedürfnissen? Farben spielen dabei natürlich eine große Rolle – deshalb haben wir die Expertin zu einem Interview eingeladen und mit ihr darüber gesprochen, was Farben bewirken und wie man die richtige Farbe für die eigenen Wände finden kann.

Was bedeutet es eigentlich, wenn von Farbwirkung die Rede ist?

Inka Aniol: Farben wirken auf unser Unterbewusstsein. Wenn wir einen Raum betreten, reagiert unser Organismus automatisch auf die vorhandenen Farben, meist ohne dass wir das selbst merken. Die Atmung, der Blutdruck und die Körpertemperatur können sich verändern – jeder Mensch reagiert individuell. Denn auch persönliche Erfahrungen und Assoziationen spielen eine Rolle. Und der Wirkung kann man sich nicht entziehen.

© Inka Aniol

Lassen sich einzelnen Farben bestimmte Wirkungen zuordnen?

Ja, zum Beispiel ist Rot eine dominante Farbe mit großer Signalwirkung, da steckt Energie drin, Kraft und Feuer. Eine rote Wand ist also immer ein Statement. Und kann zum Beispiel in einem Konferenzraum dafür sorgen, dass es angeregte Diskussionen gibt, dass Bewegung in die Sache kommt, ein dynamischer Austausch stattfindet. Gleichzeitig kann diese anregende Wirkung in einem Arbeitszimmer zu Unruhe und Unkonzentriertheit führen. Und dann wird das neue Knallrot im eigenen Homeoffice vielleicht doch noch mal überstrichen, sobald einem dieser Zusammenhang bewusst wird.




Dann ist es also keine gute Idee, die Wände einfach in der Lieblingsfarbe zu streichen?

Es ist wichtig, an die Wirkung einer Farbe zu denken und sie raumbezogen einzusetzen. Grün zum Beispiel wirkt natürlich und dadurch beruhigend, es lässt uns zur Ruhe kommen. Der Blick aus dem Fenster in die Natur macht ja auch etwas ganz anderes mit uns als der Blick auf die gegenüberliegende graue Häuserreihe. In einem grünen Umfeld kann ich mich gut konzentrieren, grüne Farbtöne eignen sich also zum Beispiel prima für ein Arbeitszimmer. Blau dagegen steht für Beständigkeit, für Weite und Entspannung – wir assoziieren häufig das Meer und den Himmel. Und um noch mal auf die physiologische Wirkung von Farben zurückzukommen: Tatsächlich kann in einem blauen Wohnzimmer das Bedürfnis entstehen, mehr heizen zu müssen, weil man das Gefühl hat, schneller zu frieren. Diesen Effekt kann man aber auch nutzen, wenn man sich beispielsweise ein kühles Schlafzimmer wünscht.



Profi-Tipp:

Bei extremen Farbveränderungen die Farbe besser zuerst auf einer begrenzten Fläche ausprobieren und dann über mehrere Tage und bei unterschiedlichen Lichtverhältnissen wirken lassen.

Kann ich durch die Farben in einer Wohnung auch etwas über die Bewohner erfahren?

Das kann man nicht pauschalisieren, denn Menschen reagieren, wie gesagt, unterschiedlich auf Farben und empfinden sie auch unterschiedlich. Manchmal lassen sich aber schon Zusammenhänge zwischen Farbwahl und Persönlichkeit erkennen. So wohnt in einer Wohnung mit vielen starken Farben wahrscheinlich jemand, der sich auch sonst gerne ausdrückt und eher extravertiert ist. Also eine gesellige, kommunikative und aktive Person, die auffällt – genau wie die gewählten Farben. Wenn in einer Wohnung natürliche, dezente Farben vorherrschen, dann wohnt hier eventuell ein Mensch, der eher die „leisen Töne“ bevorzugt und nicht so gerne im Mittelpunkt steht. Und wenn wir uns in einer fremden Wohnung gleich wie zu Hause fühlen, könnte hier jemand wohnen, der viele ähnliche Persönlichkeitseigenschaften hat wie wir.


 
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Wenn wir uns in einer fremden Wohnung gleich wie zu Hause fühlen, könnte hier jemand wohnen, der viele ähnliche Persönlichkeitseigenschaften hat wie wir.

Wie kann ich mit Farben architektonische Mängel in meiner Wohnung ausgleichen?

Generell gilt: Dunkle Töne machen Räume kleiner, helle Töne machen sie größer. Wenn ich zum Beispiel einen sehr langen Flur habe, kann es helfen, die Stirnwand, also die gegenüberliegende Wand, in einer auffälligen oder dunkleren Farbe zu streichen. Das schafft dann einen Kontrast, und der Flur wirkt dadurch kürzer. Oder bei sehr hohen Decken, wenn ich die Höhe als ungemütlich empfinde: Dann kann die Decke einen dunkleren Farbton bekommen als die Wände, das lässt sie automatisch tiefer wirken. Man sollte sich vorher aber auch selbst fragen: Ist das für mich wirklich ein Mangel? Was sind meine eigenen Wohnbedürfnisse? Was gefällt mir persönlich, und welche Farben mag ich?

Wenn ich mir aber nicht sicher bin, was mir gefällt – wie finde ich es heraus?

Ich empfehle meinen Klientinnen und Klienten gern ein Moodboard. Das ist eine Sammlung von Looks, Farben und Materialien, die einen spontan ansprechen. Man sammelt alles, was man mag, ohne Wertung – ohne zu überlegen, ob das wirklich dem eigenen Stil entspricht, ob die Mitbewohnenden es mögen würden oder ob man es sich leisten kann. Wie bei einem Brainstorming, ganz intuitiv. Dabei wird sich in diesem Sammelsurium irgendwann von selbst ein roter Faden ergeben, der manchmal auch überraschend sein kann. Das hilft, die individuellen Vorstellungen und Wünsche greifbarer und sichtbarer zu machen.

Was kann ich alles sammeln für ein Moodboard?

Wie gesagt, ein Moodboard ist eine Ideensammlung, und alles ist erlaubt: schöne Postkarten, alte Fliesen, Möbelbilder oder Modefotos aus Zeitschriften, Farbmuster aus dem Baumarkt, Stoffmuster oder ein Stück Tapete. Die Möglichkeiten sind unendlich. Inspirierend ist es auch, sich in anderen Wohnwelten zu bewegen – also durch Möbelhäuser zu streifen oder eben Leute zu Hause zu besuchen.

© Laura Adai/Unsplash


Moodboard – analog und digital!

Idealerweise kann das Moodboard in dem Zimmer entstehen, das verändert werden soll. Denn dann lassen sich auch die Lichtverhältnisse dort berücksichtigen: Wie wirkt die Farbe im Morgenlicht und wie am Nachmittag? Aber es geht natürlich auch digital! Es gibt zahlreiche kostenlose Apps, mit denen sich ein digitales Moodboard ganz easy erstellen lässt.

Wie komme ich von der Ideensammlung dann zum konkreten Farbwunsch?

Mein Vorschlag, wie sich mit dem Moodboard super arbeiten lässt: An der Wand zwei gleichgroße Flächen abkleben, einfach mit einem Kreppband, das sich leicht wieder ablösen lässt. Mindestens 80 x 80 cm groß. Im linken Viereck wird gesammelt, hier landet ungefiltert alles, was wir schön finden. Irgendwann später, nach Tagen oder Wochen, werden wir konkreter und fangen an, umzusortieren: Nur die liebsten Teile wandern ins rechte Viereck. Hier darf und sollte dann auch mitbedacht werden, worauf man sich mit den anderen Bewohnerinnen und Bewohnern einigen könnte, ob der neue Look noch zum alten Sofa passen würde und so weiter. Auf jeden Fall ist das Moodboard ein guter erster Schritt, bevor große Farbveränderungen vorgenommen werden – meine Klientinnen und Klienten sind meistens überrascht und begeistert, wie gut das funktioniert: ein prima Tool, um herauszufinden, wie sich Farben für mich anfühlen.

Was kann ich tun, wenn in meiner Wohnung schon Farben vorgegeben sind?

Dann heißt es: aufgreifen und kombinieren. Eine mir persönlich zu kühle Farbe oder ein kühl wirkendes Material kann für mich angenehmer werden, wenn ich mit warmen Farbtönen entgegenwirke. Eine Wand aus Glasbausteinen lässt sich beispielsweise mit Deko-Elementen in einem warmen Gelb oder Orange erwärmen. Auch Naturmaterialien helfen dabei, es behaglicher zu machen, wie zum Beispiel ein Teppich aus Sisal oder ein Esstisch aus Holz. Manchmal existiert bereits eine sehr dominante Farbe, vielleicht in Form eines grün gefliesten Badezimmers. Wir können den Farbton dann aufgreifen und in der ganzen Wohnung dezent integrieren – so lassen wir ein stimmiges Gesamtbild entstehen. Und dadurch nimmt man das Badezimmer automatisch anders wahr, quasi als Teil einer Gesamtkomposition.



Profi-Tipp:

Inka Aniol empfiehlt: Farbrad besorgen! Hier kann man prima schauen, welcher Farbton mit welchem harmoniert und wie man Kontraste setzt. Einfach am Rad drehen und alle Mischtöne der verschiedenen Farben sehen.

Und was sagt die Wohnpsychologin zu den aktuellen Farbtrends?

In erster Linie geht es darum, sich die eigenen Wohnbedürfnisse bewusst zu machen. Wer seine Wohnbedürfnisse kennt, kann sie in jedem Stil und jeder Farbe umsetzen – und wer Lust dazu hat, kann dabei natürlich auch Trends ins Spiel bringen.


Wie unterschiedlich Farben wirken können, zeigt unser Pinterest-Board.